Reunionskammern

Nach dem Frieden von Nimwegen versuchte Frankreich ab 1679 im Zuge der Reunionspolitik seiner Expansion eine juristische (Schein)-Legitimität zu geben.

Dabei waren die Reunionskammern in Metz, Breisach und Besançon das zentrale Instrument zur Durchsetzung dieser Strategie.

Erst der Frieden von Rijswijk konnte Frankreichs Expansion im Jahr 1697 Einhalt gebieten.

1. Die Vorbereitung

Die Reunionskammern nahmen ihre Arbeit 1679 auf, aber die Grundlage für ihre Tätigkeit wurde bereits 55 Jahre vorher gelegt.

1624 rief der französische Premierminister Kardinal Richelieu (1585 – 1642) eine Kommission ins Leben, deren Aufgabe darin bestand, Reichsfürsten der Lehensabhängigkeit oder Entfremdung von den drei Bistümern Metz, Toul und Verdun zu überführen.

Die Umsetzung in der Praxis blieb zunächst aus, aber Charles Colbert de Croissy (1625 – 1696) setzte die Vorbereitungen in den 1650er-Jahren fort.

Im Jahr 1656 beauftragte er das Parlement in Metz, mögliche Ansprüche der Bistümer Metz, Toul und Verdun zu ermitteln.

Die drei Bistümer waren im Westfälischen Frieden acht Jahre zuvor Frankreich zugesprochen worden.

Einer der eifrigsten Ermittler war Roland Ravaulx.

2. Die rechtliche Grundlage

Die territorialen Ansprüche, die Frankreich nach dem Frieden von Nimwegen stellte, basierten auf dem Westfälischen Frieden.

Letzterer legte verbindlich fest, dass die Bistümer Metz, Toul und Verdun zu Frankreich gehörten.

Die drei Bistümer standen de facto schon seit 1552 unter französischer Kontrolle.

Die genaue Formulierung im Vertragstext war für die spätere Reunionspolitik von zentraler Bedeutung.

Gegen den Widerstand der kaiserlichen Diplomaten setzte die französische Delegation den Ausdruck „eorumque Episcopatuum districtus“ (die gleichnamigen Städte und dieser Bistümer Bezirke) durch.

Diese Formulierung erlaubte Frankreich eine Interpretation des Vertragswerks, die dem Königreich neben dem weltlichen Besitz der Bistümer auch deren (frühere) Lehen und abhängigen Gebiete zusprach.

Die kaiserlichen Diplomaten kämpften vergeblich um den einschränkenden Zusatz „temporalis“ (weltlich).

3. Der Auftrag der Reunionskammern

Die Aufgabe der Reunionskammern geht aus einem Dekret von König Ludwig XIV. (1638 – 1715) vom 23. Oktober 1679 hervor.

Darin erteilte er der Metzer Reunionskammer den Auftrag, Entfremdungen der Rechte der Bistümer zu ermitteln.

Letztere erhielten den Befehl, juristisch gegen diejenigen vorzugehen, die entfremdete Rechte der Bistümer an sich gezogen hätten und sich für die rechtmäßigen Besitzer hielten.

Im Vorfeld der Veröffentlichung des Dekrets hatten die Bischöfe von Metz, Toul und Verdun den König um Hilfe gebeten, da sie nicht dazu in der Lage seien, ihre (angeblichen) Vasallen zur Erfüllung der Verpflichtungen zu bewegen.

Die Bischöfe beklagten sich über die Pflichtvergessenheit ihrer Vasallen und forderten einen Gerichtshof für ihr Anliegen – die Reunionskammern.

4. Ablauf eines Verfahrens

Das Verfahren vor der Reunionskammer begann mit der Vorladung des angeklagten Landesherren.

Als Kläger fungierten nominell die Bischöfe von Metz, Toul und Verdun.

In der Praxis führte jedoch der General-Prokurator Roland Ravaulx die Anklage.

Zu Prozessbeginn wurde die Anklage vorgelesen, in der die Wiedervereinigung von Bistum und Lehen gefordert wurde.

Danach verlangte der General-Prokurator vom Angeklagten, dass dieser den König von Frankreich als seinen Souverän anerkennt.

Nach dem Statement des General-Prokurators untersuchte die Kammer die vorliegenden Urkunden gründlich.

Dabei folgte die Kammer stets der Argumentation der Anklage und verurteilte den betroffenen Landesherren zu Treueid und Huldigung gegenüber dem französischen König – seinem neuem Souverän.

Das Urteil der Reunionskammer war unanfechtbar und der Angeklagte chancenlos.

5. Die Argumentation der Reunionskammern

Die Verfahren vor den Reunionskammern waren Schauprozesse und dienten dazu, der französischen Expansion auf dem linken Rheinufer einen Anschein von Legitimität zu verleihen.

Die Beweismittel der Kammern waren teilweise zweifelhafter Natur.

Die Urkunden wurden stets so interpretiert, dass man anhand ihrer die Reunion des betroffenen Gebietes rechtfertigen konnte.

So machte die Kammer beispielsweise aus Ottersweiler im Elsass kurzerhand Ottweiler an der Blies – auf dieser Basis fand die Reunion von Ottweiler statt.

Dementsprechend niedrig war die Siegchance des Angeklagten vor der Reunionskammer.

Die Kammer untersuchte Urkunden, die teilweise bis ins Mittelalter zurückreichten, und leitete daraus ein Abhängigkeits- oder Lehensverhältnis eines Territoriums zu einem der drei Bistümer ab.

Sie berief sich auf den Westfälischen Frieden.

6. Die Vollstreckung der Urteile

Nachdem die Reunionskammer das Urteil beschlossen hatte, wurde es im betroffenen Gebiet veröffentlicht.

Die Bekanntmachung des Urteils ging nicht selten mit dem Einmarsch französischer Truppen einher.

Ein Beispiel hierfür stammt aus dem April 1680. Der Kurfürst Karl I. Ludwig von der Pfalz (1617 – 1680) beschrieb in einem Protestschreiben die Besetzung des Oberamtes Germersheim durch die französische Armee.

So sollten die Soldaten dafür sorgen, dass die von Frankreich erwünschten Huldigungen über die Bühne gingen.

Die Grafschaft Veldenz ist ein weiteres Beispiel für diese Praxis.

Karl I. Ludwig erwähnte auch den französischen Einmarsch in das kurpfälzische Amt Altenstadt.

Dort wurde das kurfürstliche Wappen entfernt und damit der Übergang in französische Souveränität symbolisch zum Ausdruck gebracht.

7. Die Opfer der Reunionspolitik

Es gab insgesamt drei Reunionskammern in Besançon, Breisach und Metz.

Das Parlement in Besançon unterstellte am 31. August 1680 die Grafschaft Mömpelgard (Montbéliard) der Souveränität des Königs von Frankreich.

Dabei berief sich das Parlement auf die Lehensabhängigkeit der Grafschaft zur Franche-Comté, die seit 1679 zu Frankreich gehörte.

Das Conseil Souverain d’Alsace in Breisach war für die Reunionen im Elsass zuständig – hierzu zählten beispielsweise die Landgrafschaft Unterelsass, das Bistum Straßburg sowie die Grafschaft Hanau-Lichtenberg.

Die meisten Reunionen gingen auf das Konto der Reunionskammer in Metz.

Das erste Opfer war die Grafschaft Veldenz am 12. April 1680. Es folgten bis 1683 unter anderem Homburg, Blieskastel, die Grafschaften Nassau-Saarbrücken und Saarwerden sowie das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken.

8. Das Ende der Reunionspolitik

Im Jahr 1683 führte die Reunionskammer in Metz noch einmal umfangreiche Reunionen in Lothringen durch.

Danach wurde es ruhig um die Kammer.

Am 23. Dezember 1686 wurde sie schließlich nach mehreren Jahren ohne Reunionen von König Ludwig XIV. aufgelöst.

Die Gebiete, die Frankreich im Zuge der Reunionspolitik unter seine Kontrolle bringen konnte, wurden bereits zuvor in der „Province de la Sarre“ organisiert.

Diese Provinz bestand jedoch nur wenige Jahre und wurde nach dem Frieden von Rijswijk ebenfalls aufgelöst.

Ein Großteil der von den Reunionskammern beschlossenen Annexionen wurde 1697 wieder rückgängig gemacht.

Lediglich das Elsass sowie die Festungen Saarlouis und Landau blieben Frankreich erhalten.

Die „Eroberung ohne Kampf“ (Johannes Schmitt) stellte vielerorts nur eine Episode dar.