Das Instrument der Reunionsklage

Seit dem Frieden von Nimwegen setzte Frankreich auf das Instrument der Anklage vor der Reunionskammer, um seiner Expansion den Anschein von Legitimität zu verleihen.

Einer der eifrigsten Verfechter dieser Politik war Roland Ravaulx. Bei den Verfahren vor der Reunionskammer nahm er die Rolle des Anklägers ein. Die Angeklagten waren chancenlos.

1. Die Vorboten: Richelieu

Ab 1679 war die Klage vor der Reunionskammer ein wichtiges Instrument der französischen Expansionspolitik.

Der Grundstein hierfür wurde jedoch schon ein halbes Jahrhundert vorher gelegt. Im Jahr 1624 erteilte der französische Premierminister Kardinal Richelieu (1585 – 1642) einer Kommission den Auftrag, Lehensabhängigkeiten oder Entfremdungen von den drei Bistümern Metz, Toul und Verdun zu ermitteln.

Die Bistümer gehörten de facto seit 1552 zu Frankreich.

Zu den Mitgliedern der Kommission zählten unter anderen die Juristen Cardin Lebret (1558 – 1655) und Pierre Dupuy (1582 – 1651).

Sie nahmen vor allem Lothringen ins Visier und sahen im dortigen Herzog einen Usurpator.

Zwar wurden die Empfehlungen der Kommission nicht in die Tat umgesetzt, aber ein Anfang war gemacht.

2. Das Parlement von Metz

Die Reunionskammer, bei der die Klagen gegen vermeintliche Usurpatoren eingereicht wurden, war beim Parlement in Metz angesiedelt.

Das Parlement wurde am 15. Januar 1633 gegründet, um jegliche Bindungen der Bistümer Metz, Toul und Verdun zum Heiligen Römischen Reich zu kappen.

So durften sich die dort lebenden Menschen bei rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr an das Reichskammergericht in Speyer wenden.

An dessen Stelle trat das Parlement in Metz.

Cardin Lebret und Pierre Dupuy, die 1624 ein Bestandteil der Kommission waren, nahmen auch beim Parlement eine wichtige Rolle ein.

Hierzu passend erteilte Richelieu der neuen Institution den Auftrag, Abhängigkeitsverhältnisse von den drei Bistümern festzustellen.

Auf dieser Basis sollte zu einem späteren Zeitpunkt die französische Expansion legitimiert werden.

3. Die Vorbereitung: Colbert de Croissy

Der spätere französische Außenminister Charles Colbert de Croissy (1625 – 1696) trieb in den 1650er- und 1660er-Jahren die Vorbereitungen auf die Reunionspolitik weiter voran.

Im Westfälischen Frieden wurden 1648 die Bistümer Metz, Toul und Verdun auch offiziell Frankreich zugesprochen.

Ab 1656 ging das Parlement in Metz der Frage nach, bei welchen Gebieten Abhängigkeitsverhältnisse zu den Bistümern bestanden.

Colbert de Croissy ordnete die Intensivierung der Ermittlungen an.

Folglich erteilte das Parlement am 3. November 1660 den Auftrag, in den Archiven des Bistums Metz nach Unterlagen und Dokumenten Ausschau zu halten – damit Klarheit über die Rechte und Besitzansprüche des französischen Königs bestand.

Roland Ravaulx übernahm die Recherche und lieferte am 10. September 1663 einen Report ab.

4. Frankreich nach dem Frieden von Nimwegen

Im Februar 1679 unterzeichneten Frankreich und das Heilige Römische Reich den Frieden von Nimwegen.

Darin wurden die Bestimmungen des Westfälischen Friedens hinsichtlich der drei Bistümer bestätigt.

Frankreich hatte aus der Formulierung „Vrbesque cognomines, eorumque Episcopatuum districtus“ (die gleichnamigen Städte und dieser Bistümer Bezirke) das Recht abgeleitet, neben den Bistümern auch deren (einstige) Lehen zu beanspruchen.

Nach dem Ende des Holländischen Krieges (1672 – 1678) waren die Voraussetzungen gegeben, um diese Ansprüche auch in die Tat umzusetzen.

Frankreich hatte sich gegen eine Koalition mehrerer europäischer Großmächte behauptet und war zur Hegemonialmacht aufgestiegen.

Im Jahrzehnt nach 1679 gab es keine Macht, die König Ludwig XIV. (1638 – 1715) von der Umsetzung der Reunionspolitik hätte abhalten können.

5. Die Reunionskammer

Die Klagen wurden vor der Reunionskammer in Metz verhandelt.

Die Reunionskammer war eine Unterabteilung des Parlements in Metz. Die zehn Räte gehörten daher allesamt dem Parlement an.

Das Gründungsdokument der Reunionskammer war ein Dekret des Sonnenkönigs vom 23. Oktober 1679.

Aus diesem geht hervor, dass die Mitglieder der Reunionskammer von Ludwig XIV. persönlich ernannt wurden.

Außerdem erhielten die Bischöfe von Metz, Toul und Verdun den Befehl, gegen diejenigen juristisch vorzugehen, die entfremdete Rechte der Bistümer an sich gezogen hätten und sich für die rechtmäßigen Besitzer hielten.

Zuvor hatten sich die Bischöfe beim König über die Pflichtvergessenheit ihrer (angeblichen) Vasallen beklagt und die Einrichtung einer Institution gefordert, bei der sie ihre Rechte einklagen können.

6. Der Ankläger: Ravaulx

Der starke Mann bei der Reunionskammer war eindeutig der General-Prokurator Roland Ravaulx.

Im bereits erwähnten königlichen Dekret vom 23. Oktober 1679 wurde festgelegt, dass der General-Prokurator bei der Reunionskammer für die Strafverfolgung zuständig war.

Damit lag es an ihm, den Reunionsklagen vor der Kammer zum Erfolg zu verhelfen – was ihm immer gelang.

Mit Ravaulx ernannte der König einen leidenschaftlichen Verfechter der Reunionspolitik zum General-Prokurator.

Ravaulx spielte auch bei der Vorbereitung dieser Strategie eine wichtige Rolle. So kamen er und Kriegsminister Louvois (1641 – 1691) zwischen September und November 1679 zu mehreren Arbeitstagungen in Paris zusammen.

Louvois war zwar der Kopf hinter der Reunionspolitik, aber hinsichtlich deren Umsetzung war der General-Prokurator Roland Ravaulx unverzichtbar.

7. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten

In der Theorie hatte derjenige, gegen den sich die Reunionsklage richtete, durchaus die Möglichkeit zur Verteidigung.

So war im Ablauf eines Verfahrens vorgesehen, dass der angeklagte Reichsfürst einen Verteidiger berufen konnte.

Zudem hatte er die Möglichkeit, mit Hilfe von Urkunden die Reunionskammer von der Richtigkeit seiner Rechtsauffassung zu überzeugen.

Das war allerdings vergebliche Mühe, denn die Reunionskammer folgte stets der Argumentation der Anklage.

Das Recht des Angeklagten auf Verteidigung bestand bei den Prozessen vor der Reunionskammer nur auf dem Papier.

Der Ausgang des Prozesses stand schon vorher fest und der Angeklagte war vor der Reunionskammer chancenlos.

Es stellt daher keine Überraschung dar, dass die Vorgeladenen den Verfahren in Metz nur selten persönlich beiwohnten.

8. Reunionsklagen als Vorwand

Mit der Reunionsklage hatte sich Frankreich ein Instrument geschaffen, das der eigenen Expansion auf dem linken Rheinufer ein Mäntelchen der Legitimität umhängen sollte.

Doch von einem fairen Verfahren vor der Reunionskammer in Metz konnte nicht die Rede sein. So merkten bereits die Zeitgenossen an, dass die Reunionsklagen für Frankreich nur einen Scheingrund darstellten, um seine aggressive und expansionistische Politik zu legitimieren.

So erklärte die Landgräfin Elisabeth Dorothea von Hessen-Darmstadt (1640 – 1709) im Jahr 1687, dass man ihr die Mühle zu Bechtolsheim unter dem Vorwand weggenommen habe, dass „selbige ein gelehntes Gut gewesen sei“.

Da das Heilige Römische Reich im Linksrheinischen jedoch hoffnungslos zersplittert war, sah sich Frankreich lange Zeit keinem ernsthaften Widerstand ausgesetzt.